WAHRHEIT
Es ist gibt keine objektive Wahrheit.
Eine realistische Definition von Wahrheit ist, dass etwas Wahres mit einer zutreffenden Beschreibung der Wirklichkeit zu tun hat. Diese realistische, moderne Sichtweise auf Wahrheit entspricht der philosophischen Sichtweise der Aufklärung.462
In der antirealistischen, postmodernen Sicht existieren Wahrheiten im Plural: Wahrheiten sind lediglich gesellschaftlich bestätigte Aussagen über die Realität, was vereinfacht bedeutet, dass Wahrheit nur ein Konstrukt der Mächtigen ist. Vermeintliche „Wahrheit“ bezeichnet lediglich einen Status, der bestimmten Ideen von den Mächtigen verliehen wird, damit möglichst alle Menschen sich konform verhalten, da sie diesen politischen Status akzeptieren (Wahrheit als konstruierte Validität).463 Jede Form von Wissen gilt als politisch bedingt.464
Diese politische Sichtweise auf Wahrheit wurde aus der postmodernen Philosophie von der woken Sicht übernommen: Nun existieren als Folge der Machtstrukturen gruppenspezifische Wissensformen, durch die marginalisierte Personen einen besonderen Zugang zur Wahrheit besitzen (siehe Standpunkttheorie, Intersektionalität und gelebte Erfahrungen).465
Angeblich missbrauchen dominante Gruppen ihre Macht, um alternative Formen des Wissens auszugrenzen. Als „wahr“ gilt das, was dominante Gruppen für wahr halten (siehe epistemische-Gewalt und Verschwörungstheorie). Der Zusammenhang zwischen Realität und Wahrheit gilt als irrelevant (mit Ausnahme der woken Grundannahmen). Auch Thesen, die (z.B. durch naturwissenschaftliche Methoden) falsifizierbar sind, sollen als wahr gelten, wenn sie für woken Aktivismus nützlich sind.466 Objektivität wird als Codewort für eine „heterosexuelle, weiße, eurozentrische, männliche Sichtweise“ betrachtet und daher problematisiert.467
Ein Beispiel ist der Umgang mit der Philosophie der Maori-Ureinwohner in Neuseeland, die mit den Naturwissenschaften gleichgestellt werden und in die Lehrpläne (Physik, Biologie und Chemie) aufgenommen werden soll.468
Viele der propagierten Wissensformen lassen sich mit klassischer Esoterik vergleichen, die nicht als objektive Wissenschaft anerkannt werden sollte. Ansonsten könnten auch die kosmischen Energien, die in der Astrologie unser Schicksal beeinflussen, als Teil der Physik anerkannt werden. Da aber die Astrologie nicht als marginalisiertes Wissen gilt, gibt es bisher noch keine Bestrebungen, die Astro-Physik durch astrologische Wissensformen zu dekolonisieren. In der Praxis entstehen aus dieser Sicht auf Wahrheit neue Konflikte, da eine intolerante epistemische Logik propagiert wird.469