OPFER

Frauen sind häufig Opfer von Mansplaining.

In der woken Kultur wird die Gesellschaft als omnipräsenter Konflikt zwischen Tätern und Opfern betrachtet. Woke Ideologen vertreten eine Moral, die sich einseitig mit (vermeintlichen) Opfern solidarisiert.

Im Gegensatz zu einer Moral der Ehre, gemäß der erwartet wird, dass man stark genug ist, selbstständig für Gerechtigkeit zu sorgen und sich eigenhändig zu verteidigen, und zu einer Moral der Würde, gemäß der erwartet wird, dass man auch bei Konflikten einen versöhnlichen Umgang pflegt, wird in der woken Moral betont, wie hilflos das vermeintliche Opfer gegenüber Diskriminierung ist.319 Das Ansehen einer Person steigt, je besser deren Leidensgeschichte als eine Folge von diskriminierenden Machtstrukturen dramatisiert werden kann.

Der Opferstatus verleiht nicht nur Prestige: Opfer verfügen auch über Autorität, denn als marginalisierte Personen haben sie besonderen Einblick in die Wirklichkeit (siehe Standpunkttheorie). Zudem verleiht der Opferstatus Einfluss: Mit Forderungen nach Gerechtigkeit, Inklusion oder Schutz lassen sich die Handlungen anderer kontrollieren. Aus der Opferposition, in der man angeblich zu kurz kommt, lassen sich eigene Ansprüche leicht rechtfertigen (siehe Aushandlungen). Folglich ist es von Vorteil, wenn man sich als Opfer darstellen kann (siehe Identität).

Da Diskriminierung immer existiert, sobald sich ein angebliches Opfer diskriminiert fühlt, kann der Opferstatus nicht objektiv geprüft werden. Aus psychologischen Studien weiß man, dass Menschen kaum fähig sind, echte Diskriminierung von gefühlter Diskriminierung zu unterscheiden.320

Die Auswirkungen einer verinnerlichten Opferrolle sind drastisch: Forschungsergebnisse zeigen, dass Personen, die sich selbst als Opfer sehen, mehrdeutige Situationen stärker negativ interpretieren und misstrauischer sind.321 Eine verinnerlichte Opferrolle geht mit konfliktverstärkenden Persönlichkeitsmerkmalen einher: Solche Personen haben ein starkes Bedürfnis danach, Mitgefühl zu erhalten, fühlen sich stärker moralisch überlegen und empfinden weniger Empathie für das Leiden anderer.322 Außerdem sind sie leichter kränkbar, schreiben anderen eher negative Eigenschaften zu und fühlen sich stärker zu unmoralischem Handeln berechtigt.323

Eine Opferhaltung wird von neulinken Theorien gefördert, denn diese Haltung verschärft gesellschaftliche Spannungen, was die woke Sicht auf Konflikte zu bestätigen scheint. Sobald woke Ideologie einflussreich wird, fühlt sich fast jeder als ein Opfer von ungerechten Strukturen. Ein einfaches Heilmittel gegen Selbstviktimisierung durch die Opferrolle gibt es leider nicht. Die Opferrolle ist attraktiv, denn sie verspricht Lösungen, für die man selbst nichts leisten muss.

Sichtweisen, die eine interne Kontrollüberzeugung und Dankbarkeit stärken, sollten gegenüber der woken Viktimisierungskultur gestärkt werden.324