ER­FAHRUNGEN

Gelebte Erfahrungen von BIPOCs müssen berücksichtigt werden.

Gelebte Erfahrungen beziehen sich auf Erfahrungen von Unterdrückung, die gemäß woker Theorie die Dominanzgesellschaft prägen.138 Gelebte Erfahrungen sind etwas anderes als das subjektive Erleben einer Person: Da Mitglieder dominanter Gruppen keine Unterdrückung erfahren, können sie sich nicht auf persönliche Erfahrungen berufen. Sie sind zwar als Ally willkommen; die Wahrheit können sie aber nicht sehen. Ihre erkenntnistheoretische Autorität wird durch die Standpunkttheorie widerlegt, denn als privilegierte Personen rechtfertigen sie angeblich immer wissentlich oder unwissentlich ihre eigenen Privilegien (siehe falsches Bewusstsein).139

Diese Bewertungen von Erfahrungen auf identitärer Basis entstanden aus postmodernen Vorstellungen über Macht: Da Wissen immer von Macht bestimmt sei (als foucaultsches Macht-Wissen), sei Wissen immer auch politisch.140 Falls Wissen aber lediglich soziokulturell bedingt ist, ergibt sich ein Problem, das häufig als das zentrale Problem der postmodernen Philosophie angesehen wird: Sobald jemand irgendwelche Überzeugungen vertritt und diese nicht (als Soziales Konstrukt) dekonstruiert, widerspricht er den postmodernen Grundannahmen. Die postmoderne, dekonstruktive Sichtweise führt so in eine vollkommene Unsicherheit, denn sie kann nur nihilistische Antworten geben. Eine Lösung für den postmodernen Nihilismus entwickelte sich aus den neulinken Sichtweisen der Kritischen-Theorien.141

Die heutige woke Ideologie basiert darauf, dass Bestandsteile aus der Kritischen Theorie mit postmodernen Sichtweisen fusionierten. Die sogenannten „Gelebten Erfahrungen“ bildeten dazu den Ausweg aus der postmodernen Sackgasse: Bestimmte Erfahrungen marginalisierter Personen werden als „authentisch“ anerkannt, solange sie den Sichtweisen entsprechen, wie diese aus Kritischen Theorie charakterisiert sind. Sie bilden einen erkenntnistheoretischen Anker, mit dem die woke Ideologie befestigt wird.142

Diese Verankerung kann auch von Personen mit marginalisierten Identitäten nicht infrage gestellt werden. Sobald irgendeine Person woke Behauptungen kritisiert, gilt der Widerspruch als unauthentisch: Entweder leidet die Person an einer Form von falschem Bewusstsein oder sie begeht willentlich Verrat durch Komplizenschaft mit dem System. Als authentisch gelten nur die Sichtweisen von Personen mit kritischem Bewusstsein.143