IDENTITÄTS­POLITIK

Queere Identitätspolitik will marginalisierte Stimmen stärken.

Identitätspolitik in den Worten der antirassistischen Aktivistin bell hooks:

„Identitätspolitik entsteht aus Kämpfen unterdrückter oder ausgebeuteter Gruppen für einen Standpunkt, von dem aus man dominante Strukturen kritisieren kann, eine Position, die dem Kampf Sinn und Bedeutung gibt.“ 203

Woke Aktivisten verfolgen nach eigenen Angaben Identitätspolitik.204 Der Begriff „Identitätspolitik“ geht auf das linksradikale, feministische Combahee-River-Kollektiv zurück, das ihn 1977 prägte. Für dieses Kollektiv war ihre Politik in der Identität verwurzelt:

„Wir glauben, dass die tiefgreifendste und möglicherweise radikalste politische Haltung direkt aus unserer eigenen Identität heraus entsteht.“ 205

Heute hat sich Identitätspolitik als Sammelbegriff für Handlungen etabliert, die

„darauf abzielen, ein Selbstverständnis als politisches Kollektiv innerhalb einer bestimmten Gruppe zu etablieren.“ 206

Vereinfacht gesagt soll Identitätspolitik aus Identitäten politische Interessensvertretungen formen. Dafür muss sich eine strategisch konstruierte Gruppe nach außen hin abgrenzen und nach innen hin gleichschalten.

Identitätspolitik bildet die Grundlage für die intersektionalen Theorie, die von der CRT -Aktivistin Kimberlé Crenshaw im Jahr 1991 veröffentlicht wurde. Laut Crenshaw soll Identität im Kampf für Soziale Gerechtigkeit gestärkt werden:

„Identitätspolitik stand jedoch im Widerspruch zu den vorherrschenden Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit. Rasse, Geschlecht und andere Identitätskategorien werden im liberalen Mainstream am häufigsten als Überbleibsel von Voreingenommenheit behandelt – das heißt als inhärent negative Rahmenbedingungen, durch die gesellschaftliche Macht Andersartige marginalisiert. Nach diesem Verständnis sollte unser Ziel darin bestehen, solchen Kategorien jegliche gesellschaftliche Bedeutung zu nehmen. Dennoch ist beispielsweise in bestimmten antirassistischen und feministischen Befreiungsbewegungen die Ansicht implizit, dass die soziale Abgrenzung von Unterschieden nicht unbedingt eine Kraft von Unterdrückung sein muss; sie kann stattdessen die Quelle politischen Empowerments sein.“ 207

Sogenanntes Empowerment funktioniert bei Identitätspolitik anders als aus individualistischer Sicht, denn hierbei besteht ein grundlegender Unterschied im Umgang mit Identität: Liberale Sichtweisen stellen eine gemeinsame Menschlichkeit in den Vordergrund und kämpfen für gleiche Rechte. Die Menschen sollen nach gleichen, universellen Standards behandelt werden. Der Pastor Martin Luther King Jr. hatte als Bürgerrechtler 1963 für Gleichbehandlung gekämpft, als er predigte: „Ich habe einen Traum, dass meine vier Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt werden, sondern gemäß ihrem Charakter.“208

Diese universellen Sichtweisen werden von woken Aktivisten als Blindheit gegenüber Unterdrückung problematisiert (siehe Universalismus).209 Der intersektionale Ansatz greift alle gruppenübergreifenden Gemeinsamkeiten an. Stattdessen sollen für den Kampf gegen Unterdrückung vermeintlich marginalisierte Gruppen Sonderrechte erhalten. Sogenannte „positive Diskriminierung“ und Solidarität seien als eine Form von ausgleichender Gerechtigkeit notwendig.

Diese Sicht auf Identität ist einem ähnlichem Stammesdenken verhaftet wie rechtsextreme Politik: Rechtsextremismus und Wokeness ordnen beide Identitäten kollektiv nach Überlegenheit (oft in umgekehrter Richtung). Obwohl sie angeblich gegensätzliche Ziele verfolgen, verfolgen beide eine kollektivistische Logik: Im Rechtsextremismus werden Menschen anhand von angeblichen Rassen klassifiziert; beim Aktivismus für sogenannte „Soziale Gerechtigkeit“ anhand von Privilegien. In beiden Fällen resultieren daraus ideologische Gruppenhierarchien.

Doch nicht nur die ideologische Nähe zum Rechtsextremismus ist gefährlich. Die Katastrophen des linksextremen Kollektivismus werden systematisch ausgeblendet. Die neulinke Sicht auf Konflikte basiert auf kollektiven Schuldzuweisungen und Verschwörungen. Dabei warnt uns die Vergangenheit des Kommunismus eindrücklich vor einem solchen Denken. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die maoistischen Einteilungen in feindliche und loyale Teile des Volkes führten zur Vernichtung von Millionen Menschen mit angeblich problematischer Identität.210