DEGROWTH
Neue Degrowthkonzepte sind elementar für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft.
Unter den Begriffen “Degrowth” und “Postwachstum” lassen sich Konzepte zusammenfassen, die auf die Überwindung von wirtschaftlichem Wachstum und einen grundlegenden ökologisch-sozialen Wandel abzielen (siehe Transformation).81 Aktivisten für Degrowth argumentieren, dass die Welt durch kapitalistisches Wirtschaften früher oder später an sogenannte „planetare Grenzen“ stößt, weshalb zwangsläufig eine drastische Reduktion des gegenwärtigen Ressourcenverbrauchs notwendig sei.
Ihren Ursprung hat die Bewegung in den aufkommenden Kritischen-Theorien über Nachhaltigkeit und Ökologie der 1970er-Jahre.82 Trotz aller bisherigen Fehlprognosen über verknappende Ressourcen warnt die Degrowth-Bewegung vor einer ökologisch bedingten malthusischen Ressourcenknappheit. Dabei wird behauptet, dass Wirtschaftswachstum nicht von einem zunehmenden Verbrauch natürlicher Ressourcen zu entkoppeln ist (sogenanntes „Decoupling“). Die vermeintlich fragilen planetaren Ressourcen der Erde würden ein baldiges Ende des Wachstums erzwingen, denn ein längerfristiges Wachstum sei ökologisch nicht tragfähig.83 Um insbesondere die katastrophalen Folgen des Klimawandels zu stoppen, soll man eine planwirtschaftliche Transformation mit radikalen Interventionen einleiten. Durch diese Transformation wollen Degrowth-Aktivisten einen viel niedrigeren Energie- und Ressourcenverbrauch erzwingen. Zudem soll die globale Ungleichheit durch globale Umverteilung verringert werden. Statt Wachstum und Wohlstand soll das Wohlbefinden im Fokus des neuen Wirtschaftens stehen (siehe Klimagerechtigkeit).84
Kritiker der Degrowth-Bewegung argumentieren, dass zwar natürliche Ressourcen und Rohstoffe begrenzt seien, nicht jedoch die menschliche Innovationsfähigkeit: Insbesondere beschränkte Ressourcen können durch neue Alternativen ersetzt werden, da im Kapitalismus ständig neue Technologien entstehen. Durch diesen kontinuierlichen Fortschritt habe die Menschheit bereits in der Vergangenheit drohende Wachstumsgrenzen überwunden.85 Mithilfe der kapitalistischen Marktgesetze können knappe Ressourcen am effizientesten verteilt werden und gleichzeitig immer bessere Technologien entwickelt werden. Wirtschaftswachstum bleibt notwendig, um die weltweite Armut zu verringern.86
Das real existierende Elend spielt in Degrowth-Modellen kaum eine Rolle; primär geht es um ein möglichst ressourcenarmes Leben auf dem Planeten. Die Realität mit den Zielkonflikten zwischen der Minimierung des Ressourcenverbrauch und der Minimierung der extremen Armut wird ignoriert. Stattdessen wendet die Degrowth-Sicht neulinke Vorstellungen über Unterdrückung auf Umwelt, Natur und Zukunft an (siehe Konflikt): Ein vermeintlich zu hoher Ressourcenverbrauch wird als Form der Unterdrückung der Natur zulasten zukünftiger Generationen problematisiert.
Häufig wird ausgeblendet, wie bedeutend günstige Energie für den Kampf gegen Armut, Hunger und andere Menschheitsprobleme ist.87 Ökologisch-ökonomische Pragmatik wird zudem ignoriert: Durch wirtschaftliche Schrumpfung sind auch zukünftige ökologische Krisen schwerer zu bewältigen, da ohne Wirtschaftswachstum weniger Geld und Technik für Schutzmaßnahmen zur Verfügung steht.88
Gesamtgesellschaftlich betrachtet bildet wirtschaftliches Wachstum die Grundvoraussetzung dafür, dass Verteilungskonflikte gelöst werden können. Nur durch Wachstum können die erzielten Einkommen insgesamt steigen, sodass prinzipiell jeder mehr erhalten kann. Woke Ideologien betrachten die Welt jedoch als Nullsummenspiele zwischen Unterdrückern und Unterdrückten und blenden synergetische Gewinne aus.
Diese Sichtweise ist nur in einer Welt ohne Wachstum gerechtfertigt, in der sich alle Verteilungskonflikte verschärfen: Zugewinne funktionieren dann nur noch als zynisches Nullsummenspiel; im Durchschnitt verlieren alle. Ökosozialistische Degrowth-Aktivisten wollen die Erfolge der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung im 21. Jahrhundert im Namen eines ökologisch gemessenen Wohlbefindens stoppen (siehe Kapitalismus).
Dafür wird eine Verschärfung elendiger Lebensbedingungen in Kauf genommen, denn Degrowth-Aktivisten setzen sie sich gegen die fossile Rohstoffnutzung ein, die momentan mehr als 80% der Primärenergie ausmacht. Energiearmut ist Alltag für unzählige Menschen, die in extremer Armut leben. Allein in Afrika leben rund 600 Millionen Menschen ohne einen sicheren Zugang zu Elektrizität, was etwa 50% der Bevölkerung entspricht.89